Sonntag, 17. Mai 2015

Muscles a la surprise --- neue Story



So --- es gibt einmal wieder etwas Literarisches hier bei muskelmaedels.blogspot.de, auf mannigfaltigen Leserwunsch (sofern man mit dem Adjektiv die acht, neun Leutchen belegen kann, die regelmäßig fragen). Nicht erschrecken: "Literarisch" heißt in dem Fall auch durchaus "textlastig", die Story ist also etwas länger. Die Web-Fachwelt streitet, ob man solche langen Geschichten überhaupt so fahren soll. Aber wie gesagt: Hier wird  immer mal wieder nach so etwas Längerem gefragt. Also dann. Aber ich habe ein paar "Pausenbilder" eingebaut, damit es sich aufgelockert darbietet...

Oh, eins noch: Das Bild oben drüber zeigt die umwerfende Mavi Gioia, ich hoffe, sie verzeiht die kleine Räuberei und sieht es als Hommage eines Fans. Wer das Foto aber mal gemacht hat, weiß ich leider nicht. Sonst würde es hier stehen.

Nun, nach diesem Präliminarium, hoffe ich auf eins: Viel Vergnügen!

--- mattmuscle

******************

Endlich, endlich – das Gespräch im Gym nahm die Richtung an, die ich mir so lange ersehnt hatte und weswegen ich überhaupt zu trainieren angefangen hatte. Es ging um eine Frau, wie ich immer eine hatte treffen wollen. Starke Frauen. Richtig starke Frauen. Muskelmaedels.

Solche, deren Muskulatur von der Kraft eines Herkules kündet und die sich mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze bewegen. Die wissen, dass der Grad der Sexyness steigt, wenn sich die Menge der Kleidung minimiert. Die daher den Schnitt des Stoffes nicht auf Verdecken, sondern auf Enthüllen ausrichten. Die ihre Arme heben und beugen, bis ihre Bizeps sich recken. Und aussehen wie mit Haut bekleidete Steine, mit deren Härtegrad sie wohl locker mithalten konnten ...

Allein der Gedanke daran jagte mir Schauer der Erregung über den Rücken und straffte meine Shorts bis zum Anschlag. So war es bei mir von Anfang an. Damals, in der Schule, als ich hinter ihr saß, mit der alles begann. "Ihr"? Nun, nennen wir sie Anja. Sie hatte diverse Meistertitel im Rudern und trainierte eisern. Folglich hatte sie einen Rücken, bei dem die Muskeln bei jeder Armbewegung links und rechts hervortraten. Das sah dann aus wie ein Kelch – die Taille als Schaft, über dem Rücken und Schultern gleichsam als Schale aufragten. So breit, dass es ein T-Shirt von mir im Nu in Fetzen gerissen hätte, hätte sie mal eins davon getragen und sich darin bewegt.

Was sie trug, waren Pullis und zwar am liebsten ein, zwei Nummern zu klein. So kam es mir jedenfalls vor. Immerhin schmiegten die sich um ihren Leib, als habe man den Stoff darauf per Vakuum-Verfahren aufgebracht. Außer dem symmetrischen Halbrund ihres mächtigen Rückens betonte das auch noch ihre Oberweite. Die rundete sich bei jedem tiefen Atemzug zur straffen Prallheit zweier bis zum Bersten gefüllter Ballons und stellte die Elastizität des gestreiften Pulligewebes auf eine harte Probe. Und natürlich modellierte sich der Stoff um ihre Oberarme und deren von unzähligen Stunden harten Sports gestählte Muskeln.

Ihre Arme! Ich weiß noch genau, wann mir deren Form und Volumen erstmals auffiel. Nämlich an dem Tag, an dem sie diesen Büffel aus dem Ringerteam mir nichts dir nichts beim Armdrücken besiegte. Und gleich mehrfach! Wie da auf einmal beim Anspannen ihr Bizeps nach oben zuckte! Es war, als wüchse im Zeitraffertempo ein Berg aus einer Ebene empor! Ich stand daneben und hatte erstmals überhaupt dieses tolle Gefühl. Damals konnte ich es nicht beschreiben – heute würde ich sagen: Es war, als hätte ich eine Schachtel Viagra geschluckt. Das wollte ich wieder erleben! Ich wollte näher zu Anja, traute mich aber nicht, ihr zu sagen, was los war. Aber innerhalb von zwei Tagen schaffte ich es, direkt hinter ihr zu sitzen. So konnte ich mich heimlich an ihrem Anblick weiden. Vor allem an ihren Armen.

Die sah ich immer ganz genau, wenn Anja sie anhob. Etwa, um die rotblonden Haare nach hinten zu werfen, mit den Fingern hindurch zu streifen oder gar die Hände hinter dem Kopf zu verschränken. Immer dann wölbte sich ihr Bizeps hoch. Es sah dann aus, als säße da mit einem Mal ein halber Tennisball oben auf dem Arm. Und immer dann tat es in meiner Hose einen plötzlichen Ruck. Unausweichlich gefolgt vom Gefühl zuckend-warmer Feuchte, deren unübersehbare Folgen ich nur mit Mühe verbergen konnte.

Nun, ich bekam das mit der Zeit unter Kontrolle. Was aber blieb: Ich brauchte nur an Anja zu denken, um von jetzt auf gleich Frühlingsgefühle zu bekommen. Und so war es nun, als ich hörte, worüber sich neben mir die beiden Brocken auf ihren Fahrradergometern unterhielten.

Ich hatte gerade eine halbe Stunde neben dem Duo gestrampelt und kämpfte um meine Puste, als ich das erstmals von ihr hörte: "... du weiß’ schon, datt se vor’n paar Tagen im Bankdrücken 250 Pfund geschafft hat und beim Kniebeujen sogar schon bei 325 Pfund iss?"

Sie? 250 Pfund auf der Bank?? 325 Pfund beim Kniebeugen???

Während ich weiter in die Pedale trat und schnaufte, hörte ich zu wie ein Schießhund. Die beiden Klötze ließen sich weiter darüber aus, wie diese Frau trainierte und was sie alles für Kraftleistungen erbrachte. Dann rekapitulierten sie mit viel "weißte noch, damals, als sie ..." Wettkämpfe und Siege der Unbekannten. Sie spekulierten darüber, wie wohl die nächsten sportlichen Siege dieser Athletin aussehen mochten.

Während sie so redeten und ich lauschte, entwickelte sich vor meinem geistigen Auge ein Bild von ihr. Haare wie eine Rabenschwinge, das wie ein Theatervorhang bis zur Taille herabwallte, mindestens. Eine Körpergröße wie meine eigene, wieder mindestens. Und sie müsste hier ins Studio kommen, in einem feuerwehrroten Minirock wie auf ihren Body lackiert. Ein Minirock, der das ordnungsrechtlich Relevante gerade so bedeckt, aber das Wesentliche vorn oben und hinten unten betont. Und der dazu den Blick freilässt. Auf die Wucht ihrer Schenkel mit den Klüften zwischen den Muskeln. Auf ihre schwellenden Arme mit den bei jedem Anwinkeln nach oben ruckenden Bizeps-Brocken. Alles vor Öl glänzend, ja fast triefend.

Sie müsste also eintreten, natürlich in Stiefeletten mit Absätzen so lang und dünn wie ein Bleistift. Müsste sich umsehen. Dann, nach einem kurzen Blick in meine Richtung, müsste sie zu mir stöckeln. Bei jedem Schritt würden die Hüften so schwingen, dass jede Sambatänzerin vor Neid erblassen würde. Und die Schultern würde sie so weit recken, dass der Türrahmen für sie zu schmal wäre und ihr absolut jeder die Bahn frei machen würde. Und ich säße da, vielleicht auf meiner Drückerbank, vor lauter Staunen zu keiner Regung fähig.


Ein erstes "Pausenbild": Staunen --- ja, das täte wohl
mancher, wenn er denn überraschenderweise so
einen Anblick auf der heimischen Couch vorfände ...
Sie käme also zu mir. Nah und näher. Bis sie direkt vor mir stünde und von weit oben auf mich herabsähe, im Bewusstsein ihrer Unwiderstehlichkeit lächelnd. Die nervigen Fäuste in die Hüften gestützt. Die Brüste so nach vorn gedrückt, dass das Gewebe des Stoffes in den Nähten knacken würde. Und mit einem "Na?", so rauchig wie alter Whiskey, würde sie einen Fuß heben und auf der Drückerbank abstellen. Die Fußspitze nur einen Hauch von dem entfernt, was mir nur schon bei dem Gedanken an sie die größten Schwierigkeiten bereitete ...

Genau mit diesen Gedanken saß ich auf dem Ergometer, während mir der Schweiß in Strömen vom Kopf floss, sich meine Beine wie von selbst bewegten und sich mein bestes Stück streckte. Dank des Trainingstights rieb es sich dann warm und angenehm am Schenkel.

Dabei begann ich, mir ihr Leben vorzustellen. Ich malte mir aus, wie wohl ihre Karriere verlaufen wäre: Bestimmt war sie als Kind schon stark gewesen, mit den Jungs auf die Bäume geklettert. Und hatte sie beim Raufen ebenso besiegt wie beim Steinewerfen. Dann hatte sie mit Fitness begonnen und mit Bodybuilding weitergemacht. Danach, so überlegte ich es mir, hatte sie festgestellt, dass sich ihre schon immer hohe Körperkraft nun noch mehr steigerte. Ja, und dann fing sie an, mit Gerätschaften jener Gewichtsklasse zu hantieren, wie sie eigentlich nur Olympia-Teilnehmern vorbehalten waren. So erreichte sie schließlich ihr Ziel. Eine vor Power strotzende Muskelmasse. Aber bei unübersehbarer weiblicher Kontur.

So wurde sie in meinen Gedanken zu einem der imposantesten Muskelmaedels aller Zeiten. Mit so viel Kraft wie ein antiker Titan und einer Gesamtproportion, angesichts derer jeder Bildhauer zu hecheln anfangen würde. Als Kontrast zu den schwarzen Haaren müsste sie Gletschereisaugen haben. Und dazu ein Gesicht – ja, was für eins eigentlich? Keins wie aus dem Modekatalog oder vom roten Teppich. Sondern eins, das mir in dem Moment gefallen würde, wenn ich es sähe. Und dann fantasierte ich mir zusammen, wie sich ihr Körper darbot:

Größe: 1,80 Meter
Gewicht: 84 oder 85 Kilogramm
Schulterumfang: 132 Zentimeter
Brustumfang: 127 Zentimeter
Oberarmumfang: 44 Zentimeter
Wadenumfang: auch 44 Zentimeter
Oberschenkelumfang: 68 Zentimeter.

Fraglos erregte sie in der Öffentlichkeit viel Aufsehen. Die Leute wollten kaum glauben, was sie da sahen. Bestimmt, so dachte ich, bot ihre Größe gepaart mit ihrer Muskelwucht massenhaft Diskussionsstoff unter ihren Fans. Denn Fans hatte sie zweifelsohne. Ich fantasierte darüber, wie sie dastand, in einem Nichts von einem Trikot und dabei gleich zwei Leute auf ihren anbetungswürdigen Armen balancierte. Und dabei mit der Miene einer Herrscherin in jene Kamera lächelte, die dieses Zeugnis ihrer gigantischen Kraft festhielt.

Wenn sie ihm vorführt, wie stark sie ist, dass er keine
Chance hat, wenn er dabei beschämt feststellt, was er für
ein Schwächling ist und wie sehr ihn das erregt --- oh ja!

Ja, bestimmt drehte sie auch Videos, in denen sie Männer mit Genuss vermöbelte. Darunter auch solche, die sie wie nichts über den Kopf stemmte. Und die sie dabei so mühelos umher trug, wie andere das mit einem leeren Wäschekorb tun. Natürlich hatte sie auch überhaupt kein Problem damit, den jeweiligen Wicht ihre Überlegenheit spüren zu lassen. Ihn dazu zu zwingen, ihre Oberschenkel und Waden zu küssen und das ballpralle Doppelrund ihres Popos zu liebkosen. Ja, was heißt hier "ihn dazu zwingen" – am besten mich ...

Ein plastikartiges Flöten riss mich zurück ins Hier und Jetzt. Klar, der Fahrradergometer. Genauer: Sein Display, auf dem lavendelblaue Ziffern und Lettern auf waldgrünem Grund rhythmisch blinkten und mir anzeigten, dass die zweite Hälfte meiner Trainingseinheit begann. Ja, und da war sie dann wieder, die Abkehr von meinen Träumen und die Rückkehr in die Realität. Oder poetisch ausgedrückt: der Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit.

Denn es gab bei meiner Suche nach solchen Muskelmaedels ein Problem – die Leute in den Fitnessstudios. Ich wollte die Damen meiner geheimen Träume ja dort treffen, wo ich sie vermutete und wo sie bestimmt viel Zeit verbrachten und verbringen. Beim Trainieren. Aber selber Hanteln schwingen und Eisen pumpen? Ich hatte lange keine Lust darauf. Schließlich überwand ich mich. Suchte das erste "Gym" auf. Und dann das nächste, das nächste, das nächste ... Und immer:Fehlanzeige!

Zweites Päuschen: Muskelmaedel bei Hero Curls!
Bestimmt zweieinhalb Jahre lang. Ich traf Trainer, die sich Zeit nahmen und auch Wehwehchen wie einen kaputten Rücken und einen zu hohen Blutdruck in ihren Übungsanleitungen berücksichtigten. Und solche, die erst den Mitgliedsbeitrag kassierten und dann den ausgestreckten Arm schwenkten, um so die Pracht und Herrlichkeit ihres Reichs zu präsentieren. Und die dabei Dinge sagten wie: "Na, dann viel Spaß aber auch!"

Ich fand Studios, deren Sauberkeitszustand mit dem Niveau eines südamerikanischen Slums wetteiferte. In anderen Studios feierten Putzteufel wahre Orgien, fegten, scheuerten und wischten unentwegt. Manche Studios erstrahlten vor lauter Chrom und Edelstahl, in anderen ähnelte die Einrichtung einem über Jahrzehnte vor sich hin rostenden Schrotthaufen. In dem einen Studio trainierten offensichtlich wohlbetuchte Leute gegen den Verfall an. Im nächsten gab es nur Kunden, die ich insgeheim als "tätowierte Underdogs" klassifizierte. Und in einem anderen tummelte sich dann ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Mit Bankern und Ärzten genauso wie mit Handwerkern, Angestellten, mit Studenten und Arbeitslosen (Motto: "Besser trainieren als trinken"). Mit Männern und Frauen aller Altersklassen.

Aber richtige Muskelpakete, die fand ich erst einmal nicht. Nicht mal bei den Männern. Denn viele Studios lehnten (und lehnen) "Hardcore" ab. Zuerst dachte ich, die Leute redeten von Pornofilmen. Dann ging mir ein Licht auf: Die meinten tatsächlich Bodybuilding. Also richtiges Bodybuilding. Solches, bei dem selbst ein Wintermantel nicht verbergen kann, was sein Träger da in seiner Freizeit mit Hingabe tut. Aber genau das war weithin tabu, wegen der verbotenen und gefährlichen Mittelchen, wegen der als halbseiden beschriebenen Typen, die das angeblich nahmen. Und überhaupt: "Wer möchte so aussehen?" Nun, ich nicht, aber ich hätte sehr gern derart gebaute Frauen gehabt – um mich herum, auf mir drauf ...

Das aber war erst recht völlig hundepfui! Wo ich auch hinkam, fragte ich vorsichtig und wie beiläufig nach Muskelmaedels, nur um unübersehbaren Ekel und demonstrativ geäußerte Verachtung zu registrieren. So gut wie überall stieß ich in den Muckibuden auf ziemliche Machos. Ich kapierte nach den ersten herantastenden Fragen, dass ich mich besser nicht ausdrücklich nach den Objekten meiner Begierde erkundigen und über mein Faible reden sollte. Es gab da rund um dieses Thema so eine Stimmung. Eine Stimmung, die bei mir die Angst auslöste, mich lächerlich zu machen, als schwächlicher Lustmolch zu gelten oder mir eine derbe Abfuhr einzuhandeln. So wie schon früher in der Schule bei Anja.

Ich lernte schnell, mich bei Rückfragen nach dem Grund meines Interesses so zu verhalten, als sei das eigentlich unwichtig und nur eine spontane Eingebung. Also achtete ich darauf, mich mit desinteressierter Miene und belanglosen Sätzen wie "Ach, nichts, ich wollte nur mal wissen" und "Nein, nein, ich frag' nur so" aus der Affäre zu ziehen. Dabei gewann ich aber zusehends einen anderen Eindruck: Nicht jede mit vehement-ostentativer Ablehnung getätigte Antwort zu dem Thema entsprach dem, was der jeweilige Redner wohl insgeheim dachte.

Nur half mir das nicht weiter. Ich wurde zwar fitter, bekam meine Rückenschmerzen und den Blutdruck besser unter Kontrolle. Aber ich stieß nicht auf die so sehnlich erwünschten Damen. Langsam begann meine Hoffnung zu schwinden. "Es kann doch nicht sein", dachte ich, "dass es solche Bizepsbabes nur in Kalifornien und Brasilien am Strand zu sehen gibt."

Es war das achte oder neunte Studio, in das ich schließlich geriet. Eins in einem Keller. Die Einrichtung komplett abgestoßen. Die Farbe vom Metall weg. Die Bezüge der Hantelbänke durchgescheuert, geflickt oder einfach mit Panzerband geklebt. Die Teppiche abgelaufen. Die Wände wohl zuletzt gestrichen, als Bismarck noch Reichskanzler war. Aber das Gerät funktionierte einwandfrei. Das Studio achtete auf Sauberkeit, ohne das Putzen zu übertreiben.

Hier hatte man nichts gegen Kerle mit mächtigen Muskeln. Hier wurde schweres Gewicht bewegt. Hier kamen Leute her, die trainierten und entschieden das verfolgten, was sie wollten. Hilfsbereitschaft untereinander wurde groß geschrieben. Wer erkennbar ernsthaft sein Ziel verfolgte, bekam rasch jegliche Unterstützung. Eine Unterstützung, die sich auch aufs Private erstreckte. Man half einander bei Problemen mit Autos ebenso wie beim Transport der neuen Couch-Garnitur. Alles klasse – nur eins fehlte immer noch: die Muskelmaedels.


Und wieder was auf die Augen - die volle Packung:
ein Muskelmaedel mit Super-Rücken, starkem
Nacken, prallen Schultern und starken Bizeps'!
Klar, es gab Frauen. Das fing ja schon an, wenn man wie ich abends nach der Arbeit zur Tür hineinkam. Hinter dem verschrammten, aber stets sauber gewienerten Empfangstresen mit Kasse und PC saß dann stets dasselbe zierliche Geschöpf. Diese Dame strahlte jeden Kunden unveränderlich an. Sie trug ebenso unveränderlich stets hochhackige Lackschuhe und sehr bequeme, leichte und immer wieder neue Trainingsanzüge. Und zwar nur solche aus Glitzerstoff. Wenn da mal ein Pinkton und eine in Pseudo-Edelsteinen ausgeführte Schrift à la "Pussy's Dream" sozusagen das Auge des Betrachters anbrüllten, dann war das schon dezent.

Denn ihren Geschmack beschrieb ein Trainingsfreund als "vollprol": Ihre blondierten Hochsteck-Frisuren sorgten für mühsam verkniffenes Grinsen. Ebenso der Umstand, dass sie anscheinend für den Aufsteller der Sonnenbänke Werbung machte. Ihr Teint konkurrierte nämlich mit der Farbe von Nussbaumholz, fraglos hätte er den Neid jedes kalifornischen und australischen Surfers geweckt. Sie hatte nachgerade erstklassige Zähne – was sie aber nicht daran gehindert hatte, einen Schneidezahn mit einem Diamanten bestücken zu lassen.

Überhaupt hatte sie für solche Steine ein Faible. Dies zeigten die fünf entsprechend bewehrten Ringe an ihren Fingern, die Brillanten in den Ohren, das Gestell ihrer Sonnenbrille und das ein oder andere Paar ihrer Hochhacken-Kollektion. Ihre Smartphone-Hülle war ein Designer-Alptraum im Edelsteinlook. Selbst der Schirm des Rechners hatte ein entsprechendes Tuning erfahren. Alles blitzte und blinkte wie die sprichwörtliche Bordelltür. Natürlich hatte sie den passenden Spitznamen weg: Glitzie.

Zu alldem passte ihr Literaturgeschmack. Wenn nichts einzutippen, nichts zu kassieren und kein Protein-Shake zu servieren war, verschlang sie dickleibige Schmöker. Solche mit Titeln wie "Prinzessinnenglück", "Dann doch lieber Pralinen", "Die Sache mit dem Zipfelchen", "Hochzeit der gebrochenen Herzen" oder "Wenn Frauen hassen".


Und zwischendurch auch mal
wieder etwas fürs Auge ...
Aber zu ihrer Ehrenrettung sei gesagt: Auch wenn Glitzie aussah wie die Empfangsdame in einem hanseatischen Küstenetablissement – die Leute mochten sie. Denn stets heiterte sie ihre Umgebung mit gleichbleibender, ansteckend-fröhlicher Freundlichkeit auf. Und sie war außerordentlich hilfsbereit. Da sah man auch über den eigenwilligen Geschmack hinweg.

Wegen ihrer unveränderlichen Freundlichkeit traute ich mich schließlich, auch bei ihr nach Muskelmaedels zu fragen. Inzwischen hatte ich mir eine routinemäßige, unverdächtig klingende Geschichte zurechtgelegt. Die hatte ich schon anderswo angebracht, ohne dass sich daran jemand gestört hätte und ich blamiert als Weichling dagestanden wäre. Ich bezog mich einfach aufs Berufliche: Sagte, ich sei Journalist. Tat so, als sei ich auf der Suche nach einer guten Story und tollen Foto- und Filmmotiven. Und das war auch nur halb gelogen: Ich hatte ja ein paar Jahre journalistisch geschrieben, ehe ich dann in den Bereich der Werbung gewechselt war: Grafikdesign, Bildbearbeitung und gelegentliches Arbeiten im Fotostudio machten mir mehr Spaß als das Sätze-Drechseln am PC.

Aber das nutzte mir in dem Fall auch nichts. Zwar hörte mir Glitzie geduldig zu, als ich ein paar Mal wie zufällig an der Theke vorbeikam, beiläufig über meinen angeblichen Job redete und nebenher nach Muskelmaedels fragte. Jedoch interessierte sie mein Job als solcher viel mehr als mein Anliegen. Und so zuckte sie bei der entscheidenden Frage einfach nur die Achseln und meinte, auch in dieses Studio kämen immer wieder mal solche Athletinnen. Aber ob die an einer Reportage interessiert seien? Sie könne ja mal den Kollegen von der anderen Schicht eine Notiz hinterlassen, sagte sie und griff nach Block und Stift.

Routiniert umschiffte ich diese Klippe. Ich sagte, das klinge zwar prima, bringe aber erfahrungsgemäß nichts tatsächlich Verwertbares. Das hätte ich schon probiert. Wieder Achselzucken. Dann der Griff zu ihrem Buch – Titel: "Der Pirat der Sehnsucht", kein Witz – und ein per Diamant illuminiertes Lächeln, als sie sagte: "Musst du eben weiter aufpassen. Sonst läuft irgendwann so eine an dir vorbei und du raffst es nicht. Wär’ ja echt blöd, oder?"

So viel zu diesem Versuch. Ich gab es auf.

Natürlich waren da außer diesem zierlichen Tresenwesen noch andere Frauen. Solche, deren Äußeres weniger netzhautreizend daherkam. Und die nicht hinter dem Tresen saßen, sondern trainierten. Die meisten davon, weil sie Figurprobleme bekämpfen oder nicht erst bekommen wollten. Nicht wenige kamen zusammen mit ihrem Männe hierher. Und ein paar rackerten mit außerordentlichem Eifer, so dass man ihnen ihren Trainingsfleiß auch ansah.

Aber die Ladies dieser Liga fielen alle in meine Insgeheim-Kategorie "Weidenzweig". Sie waren straff und schlank und biegsam, um es mit den von den Päpsten der Schreibkunst so verpönten Adverbien zu sagen. Samt und sonders hatten diese Maedels keine extrem starken, prallen, auffälligen, erregenden Muskeln. Ich wollte es nicht glauben. Waren denn in dieser blöden Region Mitteleuropas keine von den Frauen zu finden, die ich – so kam es mir vor – zuhauf in den Zeitschriften und im Internet zu sehen bekam? Und die ich endlich einmal real vor mir haben wollte!

So wartete ich. Wartete und wartete, ein paar Monate lang, Tag für Tag. Ich hoffte, ja betete, dass das Schicksal doch einmal gnädig sein werde und mir eine richtig muskulöse Frau vorbeischicken werde. Und das geschah dann auch, aber anders als ich es mir ausgemalt hatte.


Auch beim Lesen immer wieder mal am Body arbeiten ...
Wie eingangs gesagt, ich saß da auf dem Ergometer, als sich die beiden Klötze neben mir über eine "Sie", ihre jede Norm sprengende Kraft und Muskeln unterhielten. Worauf der Kerl direkt neben mir aufhörte zu treten, kurz Luft einzog und dann sagte: "Ja, stimmt. Und dabei isse immer hart wie ’n Knochen und prall wie ’n Ballon – scheiße, mein Handtuch".

Und damit bückte er sich, um das zu Boden gerutschte Tuch wieder aufzunehmen. Beim Aufrichten musste sein Blick aber zwangsläufig an mir vorbei. So sah er das, was sich da bei mir tat: "Hey, was’n mit dir los? Sitzt da und hat ’ne Mörderlatte! Wodran denks’u grad?"

Nun saß ich da in meinen kurzen Sporthosen, direkt neben ihm. Und vor lauter Träumerei hatte ich nicht reagieren können. Hatte es nicht geschafft, im allerletzten Moment wie zufällig mein eigenes Handtuch in den Schoß rutschen lassen oder das Shirt aus der Hose zu zupfen. Oder sonst was, um die Bananenschwellung in meinem Schritt abzudecken. Die war nämlich unübersehbar! Um es so zu sagen: Ich bin nicht groß – aber an der Stelle eben nicht klein!

Sein Kumpel spähte natürlich auch hin, lachte. Und lachen, das tat auch Glitzie. Sie hatte die Bemerkung meines Ergometer-Nachbarn mitbekommen, im Vorbeigehen mit einem Stoß Handtüchern auf dem Arm. Und sie hatte ebenfalls hingeguckt. Mit weiblichem Interesse und ganz genau, wie mir schien. Ich bekam einen knallroten Kopf. Weil mir keine schlagfertige Entgegnung einfiel, blickte ich einfach gerade aus. Ich trat weiter in die Pedale. Am besten so tun, als sei nichts gewesen. Ignorieren. Und siehe da, es funktionierte. Die zwei Brocken ließen mich in Ruhe. Als sie nun weiterredeten, da befassten sie sich mit etwas für mich Belanglosem. Und Glitzie lachte noch einmal, ehe sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte.

Nun, ich weiß nicht, wie die Nummer mit meinem – sagen wir’s ruhig – Ständer ausgegangen wäre, was ich mir in den kommenden Wochen alles an Spott hätte anhören müssen. Aber dazu kam es nicht. Denn schon ein paar Wochen später wurde ich versetzt. Ein Kollege im Ausland war sehr schwer erkrankt und man brauchte händeringend Ersatz. Da verfiel man auf mich. Man unterbreitete mir das berühmte Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Und schon rüstete ich mich für einen Umzug über den halben Kontinent hinweg. Dabei kündigte ich auch den Vertrag im Gym – weil ich das aber frühmorgens erledigte und nicht zu meiner bislang üblichen, abendlichen Trainingszeit, sah ich weder die zwei Brocken noch Glitzie.

Als der Umzug vorbei war, hatte ich in den ersten Monaten viel zu tun. Für meinen privaten Spleen blieb da kaum Zeit. Ich behalf mir mit Video-Downloads und pflegte eine paar einschlägige Kontakte in den sozialen Netzwerken. Und stellte überrascht fest, dass mir der Sport und die Bewegung an sich fehlten. Schließlich fand ich dafür wieder Zeit und Muße. So suchte ich mir ein Gym. Ich fand eins, auch wenn es in meinem neuen Umfeld war wie in der alten: Bizepsbabes, Strongladies und Musclemaidens – Fehlanzeige, alles nicht vorhanden. Fitte Leute allenthalben, aber keine Frauen mit den ersehnten Supermuckis. Immerhin war es in dem großflächigen, gepflegten Studio gemütlich und freundlich. Und urig.

Denn dieses Mal war es eine Eisenbude mit Maschinen und Trainingsgeräten des Typs Do-it-Yourself. Zwar waren die beiden Inhaber sichtlich gut trainiert. Auch verstanden sie alle Aspekte ihres Faches aus dem Effeff. Sei es geschäftlich, sei es sportlich sowie psycho- und physiologisch-medizinisch. Aber sowohl er als auch sie waren unübersehbar verhinderte Handwerker, ob nun Klempner, Maschinenbauer, Schweißer, Metallformer oder Eisenbieger: In jeder freien Minute schlüpften sie in ihre Blaumänner, um dann in einer alten Halle neben ihrem Gym neue Hanteln, Ablagen, Bänke und Sportgeräte zu bauen. Aus Geldmangel griffen die zwei jungen Leute dabei meistens auf Schrott zurück. Aber die fertigen Apparate waren robust, sorgsam und allen Trainings- und Sicherheitsansprüchen gemäß ausgeführt.

Freilich umfasste das Finish der Eisen- und Stahlelemente meist nur eine dicke, aber immerhin sehr sorgsam aufgebrachte Schicht Klarlack. Daher konnte man darunter das blanke Metall, die abgestoßene Originalfarbe und auch mal etwas harmlosen Flugrost erkennen. Hier und da fanden sich noch der Modell- oder Herstellername des ursprünglich mit dem jeweiligen Holm oder der jeweiligen Strebe bestückten technischen Gegenstandes.

Jedoch war das nicht nur aus der Not geboren. Denn meine zwei verhinderten Techniker fanden das schick. Ebenso gern verzierten sie die an manchen Geräten verbauten Abdeckplatten mit Grafitti oder mit Bildern aus Zeitschriften. Die wurden ausgeschnitten und kamen in einer Art Serviettentechnik aufs Metall, geschützt von viel Klarlack. Auf diese Weise hatte man dann etwa bei der Beinpresse eine Blechplatte vor Augen, auf welcher die unter Lack liegenden Bilder die korrekte Technik der Übung vorführten.

Augenpause --- und nach
dem Training zieht sie die
knappen Sachen an und geht
die Kerle verrückt machen ...

Wie es jetzt genau kam, weiß ich nicht mehr, aber eines Abends sah ich einen Trainingsfreund im – kein Witz – "Lounge-Bereich" sitzen. Da kämpfte er mit Schneidmatte, Cutter und Schere darum, etwas aus bedrucktem Papier auszuschneiden. Die beiden Inhaber hatten ihn zu dieser Tätigkeit überredet, um sich so die Schmuckmotive für ihre neueste Trainingsmaschine zu verschaffen. Nur konnte er das überhaupt nicht. Denn er arbeitete zu grob, konnte keine Rundungen schneiden und erzeugte mehr Abfall als verwertbare Ergebnisse.

Etwas präzise und haargenau auszuschneiden, gehört nun für einen Grafiker zum täglichen Brot. Auch aller modernen Bildbearbeitung im Computer zum Trotz ist das so. Ich weiß nicht, wie viele tausend Collagen ich auf die Weise erstellt habe. Mit einem "Das Trauerspiel kann man ja nicht ansehen, gib mal her!" nahm ich dem Sportsfreund den Cutter aus der Hand und machte mich daran, wenigstens sein letztes Werk noch zu retten.

Erleichtert ließ er mich gewähren, sagte, ich könne das aber gut. Dann fragte er, ob so was wohl zu meiner Arbeit gehöre und ob er mir das daher ganz überlassen könne. Ich blickte auf. Entschuldigend hob er die Hände. Fragte, ob wir quitt seien, wenn er meinen großen Protein-Shake – Geschmack: Cocos-Pistazien, das weiß ich noch genau – mit auf seine Rechnung nähme. Ich sagte, das ginge klar und er könne abhauen. Er zahlte und machte sich davon, so erleichtert wie ein Kettensträfling, dem man gerade seine Eisenfesseln abgenommen hat.

Und so saß ich da und verschaffte mir erst einmal einen Überblick über das vor mir liegende Material. Der Job bestand darin, aus mehreren großen Farbfotokopien die markierten Foto-Motive herauszutrennen. Meine Gym-Besitzer hatten mitgedacht, weil sie ihre Pappenheimer kannten: Es gab jeden Bogen in fünffacher Ausführung. Und wie der volle Papierkorb neben mir anzeigte, hatte mein Vorgänger auch reichlich Ausschuss erzeugt. Ich schüttelte den Kopf und grinste: Ich würde die gewünschten sieben Motive jeweils beim ersten Versuch, professionell sauber und dazu noch in der Zeit ausschneiden, die ich für den gemütlichen Verzehr meines Abendbrotersatz-Milchshakes brauchen würde. Alles andere wäre ja gelacht!

Immerhin hatte man bei der Auswahl der Bildmotive aufgepasst. Fotografisch tipptopp, hohe Auflösung, vernünftige Druckqualität – ich nickte anerkennend. Zudem hob sich das jeweilige Personenmotiv gut vom Hintergrund ab. Auch gab es im Bild keine Dinge wie Zweige, Grashalme oder Steine, welche Teile des Hauptmotivs verdeckten. Und nichts da mit Farb-, Licht- und Schatteneffekten, die beim gesamten Bild stimmig, aber bei der ausgeschnittenen Figur unnatürlich gewirkt hätten.

Weil ich diese Bilder nun vor allem mit professionellem Blick betrachtete, fiel mir erst einmal nicht auf, was darauf genau dargestellt war. Sicher, es handelte sich um eine Athletin beim Training. Das hatte ich natürlich sofort bemerkt. Aber das war ja hier in dem Umfeld auch zu erwarten. Der Inhalt der Motive jenseits des künstlerisch-praktischen Aspekts wäre mir sofort bewusst geworden, hätte es sich zum Beispiel um einen Tuareg auf dem Kamel oder einen Indianer auf dem Mustang gehandelt. Ich hielt daher schon die letzte Figur ausgeschnitten in den Fingern, als ich auf das Motiv als solches blickte – und nicht mehr auf Kontursichtbarkeit oder Lichtführung achtete.

Und so sieht das in Perfektion aus,
um was es im nächsten Abschnitt (auch)
geht: ein tipptopp trainierter Rücken!

Die abgebildete Athletin war eine ebenso sparsam bekleidete wie muskulöse Dame. Sehr, sehr muskulös, scharf definiert und mit richtig guten Proportionen. Ich registrierte es mit Wohlgefallen. Die sieben gewünschten Motive zeigten sie beim Rückentraining – da wusste ich, das mein Ehepaar an einer eben dafür bestimmten Trainingsmaschine werkelte. Das Muskelmaedel saß beim sitzenden Rudern, machte Kreuzheben mit einer Titanen-Hantel, absolvierte Klimmzüge, zu sehen jeweils von vorn und von hinten. Das siebte Bild zeigte dann ihren Oberkörper frontal bei einer Latissimuspose. Bei der wölbten sich ihre Rückenmuskeln, als wüchsen ihr Flügel. Dazu gab es dann ein breites Lächeln, das der Welt ihre erstklassigen Zähne zeigte – und den Diamanten oben vorn in einem Schneidezahn.

Aber --- war das denn möglich? Ich stutzte. Schaute genauer hin. Schrak zusammen. Und dann zitterte das Papier in meiner Hand. Denn außer dem Klunker im Zahn passte auch der Rest: Eine Haut so braun wie Nussbaum. Blonde Haare, hier aber in einen Zopf geordnet. Ein Lederbikini, pinkfarben und mit funkelnden Steinchen übersät:
Glitzie!
Das war Glitzie!

Aber eine Glitzie, wie ich sie mir nie und nimmer erträumt hätte: Muskeln und noch mehr Muskeln! Auf den ganzen Fotobögen waren noch mehr Aufnahmen drauf – und da war neben dem Ultrabreit-Rücken alles, was ich mir immer erträumt hatte: Superduperprall-Popo, Kugelschultern, Pflasterstein-Bauch, Hufeisen-Trizeps, Baumstamm-Schenkel und Waden in Form eines kopfüber stehenden Herzen. Und natürlich Bizeps – so hoch und kantig wie ein Berggipfel. In diesem Fall mit einer genauen Maßangabe: Sage und schreibe dreiundvierzig Zentimeter zeigte das um den angespannten Arm gelegte Maßband! Stark war sie auch: Ein Foto zeigte sie bei einem Kraftakt: Sie stemmte einen Jungen von vierundfünfzig Kilo Gewicht. Der Junge hatte sich zu einer Art Kugel zusammengerollt. So konnte sie ihn oben halten – mit nur einem Arm, während sie den anderen zu der ewigen Pose der Starken angespannt hatte.

Diese Mal dachte ich daran, das Hemd aus der Hose zu ziehen und über den Schritt zu legen. Mit fliegenden Fingern legte ich meinen Studio-Inhabern die ausgeschnittenen Bildmotive zurecht, während ich mir die überflüssigen Bögen zusammenrollte. Ich weiß nicht, wie ich nach Hause gekommen bin, ohne im Knast zu landen – meine Hose stand die ganze Zeit ab wie ein um neunzig Grad gekipptes Zelt. Und dabei musste ich zu Fuß durch die Stadt!

Kleine Lesepause -- mal
was trainieren zwischendurch?
 Zuhause ging ich sofort ins Internet. Die Fotos stammten von einer auf Berichte über Bodybuilding und Kraftsport spezialisierten Website, in der es auch reichlich Szenetalk zu finden gab. Da klickte ich mich durch, nur um ein langes Webradio-Interview mit Glitzie zu finden. Man sprach über Karriere, Wettkämpfe, Training, Ernährung und Ziele. Und dann ging es ins Private – und das war dann das Beste. Hier ist der Abschnitt:

"-Frage: Wie sieht’s eigentlich zwischenzeitlich mit deinem Privatleben aus? Man darf ja ruhig sagen, dass du seit längerem allein lebst ...
-Antwort: ... drei Katzen und ’n Hund? Das ist doch nicht allein!
-Frage: Das stimmt, das stimmt. Okay. Aber, ich meine, so ohne Partner. Kein Mann im Haus. Wie ist es, liegt’s am Bodybuilding-Lebensstil, dass sich da niemand findet?
-Antwort: Mann, du bist aber reichlich indiskret heute!
-Frage: Ja, so bin ich! Musst ja nicht antworten, wenn du nicht willst.
-Antwort: Nein, macht mir nichts. Ich lebe seit der Scheidung allein. Aber nix hier und jetzt über meinen Ex. Ist halt so. Ich komme gut zurecht. Musst dir keine Sorgen machen um mich.
-Frage: Also keine Angebote?
-Antwort: Aber natürlich! Ständig. Aber nicht nur, was du meinst.
-Frage: Was soll ich nicht meinen? Das verstehe ich nicht.
-Antwort: Na, dann. Ich erzähl dir jetzt mal was vom Leben. Da sind nämlich jede Menge Jungs, die meine Muckis gucken wollen. Und einölen. Armdrücken woll’n die, und rumgetragen werden und so. Und noch mehr! Und ehe du fragst: Jungs aus allen Altersklassen, Studierte und normale Leute, mit Geld und ohne. Von hier und aus dem Ausland. Aber wollen tun’se alle, was ich gerade gesagt habe.
-Frage: Krass, ganz krass! Das turnt doch auf Dauer bestimmt voll ab, oder?
-Antwort: Kommt drauf an. Mal ehrlich, welche Frau hätt’ denn nicht gern wen, der sie Göttin nennt? So. Und der sie anbetet, so mit allem Zipp und Zapp? Und für mich gibt’s dafür Spielchen mit Muskeln vorführen und Kerle vertrimmen? Hallo, hallo? Da bin ich aber dabei!
-Frage: Äh, okay, das ist jetzt mal ’ne sehr offene Ansage. Also kein Problem für dich?
-Antwort: Nö. Nein. Bis jetzt konnte ich mir die Würstchen alle vom Leib halten. Also, die wo sich nicht beherrschen konnten. Habe ich jetzt echt "die wo" gesagt? Also, ich mein’ jetzt die Aufdringlichen. Einen habe ich auch mal hochgehoben und rausgeschmissen.
-Frage: Echt?
-Antwort: Echt! Rumms, lag er da, auf’m Parkplatz. Aber manchmal, ja, da ist es auch lustig. Wenn sie wollen, sich aber nicht trauen. Wie der eine da. Ein ruhiger. So’n Künstlertyp, aber kein Spargel. Hat immer gefragt, im Laden, in dem ich arbeite. Nach Muskelmaedels. So hat er’s genannt: Muskelmaedels. Hat gesagt, ich bin Journalist und brauche Stoff für ’nen Artikel. Journalist. Ha! Ich guck in’n PC auf seine Anmeldung. Und was steht da? Art Director bei so ’ner Werbeagentur. Aber keine kleine! So. Da sieht ja ein Blinder mit’m Krückstock, worum’s dem geht. Und der fragt nicht nur bei mir, auch bei den anderen Läden in der Stadt. Man redet ja mal miteinander, dann kriegt man das raus. Ja und dann, als er wieder mal auf’m Trainingsrad strampelt und zwei von meinen Trainingspartnern daneben, am Quatschen. Über mich, haben sie mir später gesagt. Das kriegt er wohl mit. Spitzt die Ohren. Und dann – peng! Ich sage nur: Salatgurke!
-Frage: Woher weißt du das denn schon wieder? Hast du das etwa gesehen und dann geguckt?
-Antwort: Aber natürlich. Ich kam gerade so vorbei. Ein Bild für die Götter! Mörderding!
-Frage: Das wollen wir dann mal so steh’n lassen.
-Antwort: Das haste jetzt aber sehr schön ausgedrückt!
-Frage: Oh. Ah. Okay. Sage ich es mal so. Lassen wir dieses Thema mal ruhen. Besser?
-Antwort: Wenn du meinst.
-Frage: Okay. Hast du den Typen nicht mal privat getroffen?
-Antwort: Nein. Immer nur im Laden.
-Frage: Ja, hat der denn nicht gerafft, dass es da um dich geht? Der muss doch irgendwann einmal deine Wahnsinns-Muckis gesehen haben, oder?
-Antwort: Wahnsinns-Muckis? Findest du, dass ich Wahnsinns-Muckis habe?
-Frage: Habe ich das gesagt? Ja, äh, schon. Sind schon granatenmäßig, deine Muskeln! Und tu mir’n Gefallen und klimper nicht so mit den Augen, okay? Ich werd’ ja ganz hibbelig!
-Antwort: Wie? Och, komm. Aber danke fürs Kompliment! Und nein. Also, der Typ. Der hat nichts kapiert. Woher auch? Ich mag ja nichts von mir ins Web stellen. Keine Bilder, keine Filme. Ihr seid jetzt eine von den wenigen Ausnahmen. Und dann bin ich ja vom Typ her eher zierlich. So, und abends im Gym, wenn der kam und ich Empfang, Buchhaltung und Abrechnung mache, abends, da trage ich immer ’n weiten Trainingsanzug. Lässt mich wohl viel schmäler aussehen als ich bin, möchte ich annehmen.
-Frage: Trainingsanzug. Liebe Hörer da draußen, glaubt’s mir, diese Anzüge sind schon echt unverwechselbar. Wenn ihr das sehen könntet, diese Farbe wie jetzt bei dem da, da wärt ihr froh, dass das hier nur Ton ist und kein Bild. Die Farbe ist für immer auf meiner Netzhaut. Wie eingebrannt. Und dazu diese Applikationen! Glitz, glänz, blink! Ja, da würde ich sonst auch nichts mehr sehen. Kapiert.
-Antwort: Schätzchen, ich weiß gar nicht, was du hast. Mir gefallen die. Superleicht, lässig, weit, bequem. ’N Gefühl, als hätte ich nix an. Und für das ganze rosane und pinke Zeug, für die Steinchen, da hab ich halt ’n größeren Spleen.
-Frage: Wirklich unübersehbar. Ich kann verstehen, dass es ablenkt. Okay, der Kerl hatte Tomaten auf’n Augen. Wollt’ste ihm die nicht mal runternehmen, sozusagen?
-Antwort: Ging nicht mehr. Der ist wohl versetzt worden, so wumm-bumm. Hat sich ein paar Tage später abgemeldet, aber nicht bei mir. Schade. Meine Jungs und ich wollten ihn noch ’n bisschen aufziehen, und ich hatt’ noch andere Dinge mit ihm vor. Tja, wär’ bestimmt lustig gewesen – ich oben mit meinen Schenkeln um ihn rum, sein Hals in meinem Schwitzkasten, er unter mir, mit ’ner Massageölflasche und diesem Hammerding da in seinem Slip.
-Frage: Okay, okay, da hören wir mal auf, wir wollen ja jugendfrei bleiben. Also, ich danke dir herzlich fürs Herkommen. Und für die offenen Worte. Ja, und nächste Woche gibt es dann ..."

Hier sei das Zitat beendet. Denn das war der Moment, wo es mir zuhause an meinem Rechner ohne jedes Zutun wieder genauso erging wie damals in der Schule in der Bank hinter der starken Anja. Und in der Nacht dann direkt noch einmal.

Am nächsten Tag tat ich dann zwei Dinge. Ich nahm mir ein paar Tage Urlaub. Und buchte einen Flug nach Hause. Ich wollte unbedingt herausfinden, wie das denn so wäre, sie oben, ich unten, mit einer Ölflasche und so weiter ... 

Blieb nur eine Schwierigkeit: Wie konnte ich dafür sorgen, dass mir beim Flug vor lauter Vorfreude kein Malheur passierte?

--- mattmuscle, Januar bis Mai 2015.

Brigita Brezovac - immer entzückend: Daher setzt sie
heute an dieser Stelle den Schlusspunkt!

Donnerstag, 14. Mai 2015

Ivy Russell - Muskelmaedel von
einst als Vorbild für heute

Muskelmaedels als ausschließliches Phänomen der jüngeren und der heutigen Zeit, dazu als Folge der modernen Ernährungs- und Trainingsmethoden - wer das nur so sieht, der gehört zu der gegenüber der Geschichte ignoranten Fraktion. Für die stellt alles Relevante eine Erfindung von heute dar und sind die jetzt lebenden Menschen auch klar besser als die gestrigen. Körperlich, politisch, ethisch, moralisch -- und genau hier liegt die Hybris: Natürlich basiert alles Heutige auf etwas Gestrigem, und natürlich waren die Altvorderen ebensowenig besser und schlechter als jeder, der heute lebt. Und bei allem Gejammere à la "Was soll aus der heutigen Jugend mal werden?" hat es fast jede Generation doch noch irgendwie gepackt, ihr Leben zu gestalten. Und ehe ich jetzt ganz abschweife, will ich hier bei muskelmaedels.blogspot.de wieder den Bogen schlagen zum Anlass meines Geschreibsels. Nämlich dem Umstand, dass es natürlich auch schon früher muskulöse und starke Frauen gegeben hat, die ihre Körperkraft gezielt trainiert und damit auch ihre Muskeln aufgebaut haben.

Eine war Ivy Elizabeth Russell oder Ivy Elizabeth Russel (ich schreibe den Nachnamen in diesem Beitrag
mit zwei "l", also anders als in einem älteren superkurzen Posting von mir). Eine Britin. Sie war sehr stark. 1925, also im Alter von 18 Jahren und dazu mit einem Körpergewicht von 125 pounds (also knapp 57 Kilogramm), hatte ihr Training solche Fortschritte erreicht, dass sie im Stoßen eine Hantel von erstaunlichen 80 Kilogramm oder 176 pounds zum Himmel streckte. Längst war sie stärker als ihr Lehrer, immerhin ein ehemaliger britischer Soldat und ein Profi-Trainer!

In den zwei Jahrzehnten ihrer Blütezeit gab Ivy Russell viele gewichtheberische Vorführungen auf den britischen Inseln. Eine ihrer registrierten und von Zeitschriften wie "Health and Strength" vermeldeten Topleistungen beim Stoßen lag bei 87,5 Kilogramm (193 pounds) und bei etwas mehr als 186 Kilogramm (410,5 pounds) beim Kreuzheben. Ihr eigenes Gewicht betrug da - anno 1930 - gerade mal 61 Kilogramm (134 pounds). Bei anderer Gelegenheit absolvierte sie beim tiefen Kniebeugen 14 tiefe Wiederholungen mit einer Hantel von 180 pounds, also gut 81,5 Kilogramm. 


Überhaupt war sie in Sachen Kraftsport sehr engagiert. Sie setzte 1932 eine Frauensparte bei der etablierten British Amateur Weightlifting Association durch: Im Mai jenes Jahres veröffentlichte "Health & Strength" einen Leserbrief von Ivy Russell, indem sie für die Zulassung von Gewichtheberinnen und um das Ausrichten entsprechender Wettkämpfe eintrat. In den Worten der im texanischen Austin lehrenden Historikerin Jan Todd: "Wahrscheinlich ist dies überhaupt der erste Versuch einer Frau, für athletische Chancengleichheit auf dem Gebiet des Amateurgewichthebens einzustehen." Und im selben Jahr stand Ivy Russell dann beim ersten offiziellen Wettkampf auf dem sprichwörtlichen Siegertreppchen, nachdem sie eine Hantel von 137 Kilogramm oder 300 pounds zur Hochstrecke gebracht hatte.  
 
Wobei sie trotzdem durchaus anders aussah als viele kraftbetonte Athletinnen, die man bislang vom Zirkus, vom Jahrmarkt und aus dem Varieté kannte. Waren diese Frauen oft groß und dazu durchaus prall, mitunter sogar richtig massig, so war Ivy Russell durchaus größer als viele Frauen jener Jahre, aber vergleichsweise zierlich, da vollkommen austrainiert.

Will heißen: Ihr Körperfettanteil lag trotz ihrer Muskelmasse viel niedriger als bei den anderen Muskelmaedels jener Tage. Den wenigen von ihr erhaltenen Fotos nach zu schließen, war sie das, was heutige Bodybuilder "definiert" nennen. Dieses freilich, ohne dabei in den Fettreduzierungsexzess zu verfallen, der den heutigen Sport beherrscht. Eine interessante Frage (wenigstens für mich) lautet, ob sie das einer entsprechenden Veranlagung oder eben ihren Trainingsmethoden und einer ausgeklügelten, genau abgestimmten Diät zu verdanken hatte. Wenn es das zum Schluss Genannte gewesen sein sollte: Dann war Ivy Russell eine der ersten wirklichen Bodybuilderinnen im modernen Sinne. Oder wie es Jan Todd formuliert, "ein neuer Archetyp für Gewichtheberinnen".

Man darf annehmen, dass Ivy Russells Äußeres weitgehend auf ihr Training zurückzuführen ist. Eine Athletin wie die um 1900 weltberühmte Katie Sandwina mochte ein Klavier hochheben oder mit einem Arm mehrere Männer stemmen können. Aber diese pralle teutonische, in jungen Jahren zudem wunderschöne Wuchtbrumme wog in Spitzenzeiten gut und gern ihre 90 Kilogramm, sie trank zudem - wie viele deutsche Kraftathleten - regelmäßig ihr Bier. Leichtathletische, auf schnelle und reaktive Beweglichkeit ausgelegte  "Skills" wie Laufen, Sprinten, Fechten standen bei der Großen Sandwina hingegen sicher nicht auf dem Programm. Wohl aber bei Ivy Russell. Sie war nämlich eine Rundum-Athletin. Man kann sich vorstellen, dass sie sich heute beim Crossfit und auf der Tartanbahn ebenso wohlgefühlt hätte wie beim Bodybuilding.    

In angekleidetem Zustand dürfte sie daher auch alles andere als wuchtig gewirkt haben. Allenfalls die breiten Schultern werden aufgefallen sein und vielleicht mögen manchem unter dem Saum der damals üblichen, halblangen Röcke noch die kraftvollen, wie aus Holz geschnitzt wirkenden Waden in den Blick geraten sein. Falls überhaupt. Aber unter den für jene Zeit gängigen Leinenblusen und Tweed-Kostümen gab es einen Body mit spektakulär ausgebildeten Muskeln, hart, voluminös, straff, stark. Richtig stark. 



Am 9. Oktober 1937 schrieb die Zeitschrift "Pearson’s Weekly" über sie, ihr Bizeps habe denselben Umfang wie derjenige des seinerzeit legendären deutschen Schwergewichtsboxers Max "Der Schwarze Ulan vom Rhein" Schmeling, ihre Waden seien aber noch elf, zwölf Millimeter dicker als seine. Natürlich durfte der Vergleich  ihrer Maße mit denjenigen von Schmelings berühmtestem Gegner, Joe "The Brown Bomber" Louis nicht fehlen - ihn übertraf sie demzufolge beim Oberschenkelumfang um gleich einen Inch, also zweieinhalb Zentimeter. Und das alles bei einer Größe von 167 Zentimetern und einem Gewicht, das sich zwischen 57 und 61 Kilogramm bewegte: Inwieweit das damals wem geschmeichelt hat oder nicht, sei dahingestellt. Ich sage: "Wow!"

Kein Wunder, dass nicht nur ich heute so reagiere. Viele Männer damals taten das auch! Ivy Russell war nämlich gertenschlank, straff und superfit. Aber anders als viele moderne Athletinnen hatte sie noch eine unübersehbare Oberweite; zu ihrer weiblichen Ausstrahlung kam dann noch eine trotz ihrer auf viele Zuschauer unglaublich wirkenden Kraft ein extrem bescheidenes, ja zurückhaltendes Auftreten.  

Ivy Elizabeth Russell kam 1907 in der südlich von London gelegenen Stadt Croydon zur Welt - mit einem Gewicht von nur anderthalb Kilogramm, um zu einem Mädchen mit entsprechender Neigung zur Kränklichkeit heranzuwachsen. Dennoch oder deswegen hatte sie von Jugendtagen an ein Interesse an athletischer Betätigung, war eine leidenschaftliche Schwimmerin und trat im Alter von 12 Jahren einem örtlichen Gymnastik-Club bei. 

Einen Rückschlag musste sie mit 14 Jahren verkraften, als sie massive Atemwegsprobleme bekam und in deren Folge Asthma oder Tuberkulose (je nachdem, welcher Quelle man vertrauen darf). Jedenfalls bildete das wohl einen Grund dafür, dass sich die bislang körperlich äußerst aktive junge Dame nach einer Betätigung umschaute, die sich mit dieser Beeinträchtigung vereinbaren ließ. Und so kam sie unter Anleitung des ehemaligen Armeeausbilders und auf die Reha von Invailden und kranken Kindern spezialisierten A. E. Streeter zu dem, was in der damaligen englischen Welt "Physical Culture" und in der deutschen "Körperertüchtigung" hieß. Sprich: Ivy Russell begann mit Bodybuilding und Hanteltraining.

Dnn begann ihr Aufstieg zu einer der berühmtesten "Strongwomen" der 1930er Jahre. Strongwoman? Das ist auch der im Deutschen übliche Zirkus-Fachbegriff für eine Frau, die Kraftdemonstrationen und -vergleiche vor Publikum absolviert und dabei durch ihre außerordentliche Stärke auch gern die anwesenden Männer düpiert. Bei solchen Vorführungen hob Ivy Russell einigen im Web kursierenden Texten zufolge schon mal mehrere Männer zugleich an und hielt sie dann oben.



Athletische Erfolge hin oder her, es stellt sich täglich die Frage nach dem Unterhalt. Auch damals, auch für Ivy Russell. Weswegen die junge Frau mit den dunklen, glatten und im Stil der 1920er Jahre recht kurz geschnittenen Haaren zuerst einmal jenen Beruf ausübte, dem Tausende anderer Frauen auch nachgingen - sie arbeitete als Hausmädchen. Doch dann erkannte sie, dass sie durchaus von ihrer außerordentlichen Kraft leben konnte. Zum Kraftsport und den entsprechenden Vorführungen trat dann das Ringen hinzu, in dem Fall das Catchen (das englische Wort "Wrestling" steht ja für beides). Auch in der Sparte hatte sie sich flugs als erfolgreich erwiesen, so dass sie daraus ihren Beruf machte.

In jenen Jahren leitete sie ein Trainingszentrum in Croydon. Und widmete sie sich in ihrem 1934 eröffneten "Victory Ladies Wrestling Club" darin, Frauen entsprechend zu coachen. Sie selber schaffte es, durch den Sieg über alle Gegner den Meistertitel zu erringen. Auch setzte sie sich beim zuständigen Verband, der "British Amateur Weightlifting Association", erfolgreich dafür ein, Frauen als Vollmitglieder zuzulassen und Wettkämpfe für Frauen abzuhalten.

Natürlich ranken sich auch einige Legenden von der Sorte um dieses Muskelmaedel, wie sie Burschen meines Schlages nur allzugern hören: Eines Tages begann ein Mann, Ivy Russell zu verpotten, als er von ihren Tätigkeiten als Ringerin hörte. Zwar entgegneten andere Männer dem vorlauten Herrn, jede Frau solle wissen, wie man ringt. Doch ärgerte sich Ivy Russell über diesen Vorfall dermaßen,dass sie den Mann in ihr Gym einlud. Dort nahm sie ihn kurzerhand in ihre kraftstrotzenden Arme und begann zuzudrücken - so lange und so fest, bis der Bursche um Gnade winselte und darum bat, ihn wieder loszulassen ---ach ja, herrlich!

Und dann? Dann verliert sich ihre Spur im historischen Nirwana. Alle für diesen Text konsultierten Berichte konzentrieren sich ausschließlich auf ihre Rekordleistungen und damit ihre Sportkarriere. Was dann aus ihr wurde? Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder in Büchern, Artikeln, genealogischen Seiten und Online-Fanzines gelesen und gefragt und im Web danach  gesucht. Es war nichts festzustellen, außer der leider durch nichts belegten Angabe, dass sie kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs einen "Doktor aus London" geheiratet und mit ihm auch nach London gezogen sein soll.

Irgendwo kursiert auch die Angabe 1989 als Angabe ihres Todesjahres. Aber das sei mit allem möglichen Vorbehalt angegeben, da ich keine valide Quellenangabe gefunden habe. Also muss man da achtgeben, zumal es ja mehrere Trägerinnen dieses Namens gab/gibt. Wie obskur das Schicksal der Strongwoman Ivy Russell leider ist, sieht man schon an dem erwähnten Umstand mit den zwei Schreibweisen für den Familiennamen unseres Muskelmaedels, "Russel" und "Russell" (wobei die letztgenannte Variante mit den  zwei "l" wohl die üblichere Schreibweise des alten englisch-normannischen Namens ist. Der geht auf ein altes nordisches Wort für "rot" zurück, wenn mich meine Erinnerungen an die Studienzeit nicht trügen; auch ein schottischer Clan heißt Russell). 

Ein oder zwei "l", egal: Wenn  jemand - und das sei daher extra betont - zuverlässige Angaben über Ivy Russells weiteren Lebenslauf hat: Bitte mitteilen. Und wer noch schönere, höher auflösende, bessere und andere Bilder hat: Werden auch gern genommen. Denn es gibt beklagenswerterweise nicht viele Fotos von ihr. Die bekannten Bilder von Ivy Russell, zum Beispiel in der Pose einer Läuferin beim Start, beim Diskuswerfen oder mit einem Speer, stammen laut den Recherchen des Bodybuilding-Historikers David Chapman (Autor des empfehlenswerten Buches "Venus with Biceps") alle von dem schottischen Fotografen Ron Rennie und wurden laut Chapman 1932 aufgenommen. Also: Die Kommentarfunktion ist aktiviert.